Teil 10: Bergexpedition in Copacabana - von Fabian Gude

Fabian Gude lebt mit seiner Familie seit 2013 in Rio de Janeiro. Heute schreibt er in seinem Gastblog auf wmrio.de von unserer Bergexpedition vom vergangenen Sonntag.

Quelle https://www.google.com/maps/place/São+João+Batista/@-22.959318,-43.18849,2a,90y,90t/data=!3m5!1e2!3m3!1s2936312!2e1!3e10!4m7!1m4!3m3!1s0x9bd55c5dcf7f7d:0xbfe99db131288a5a!2sRua+Décio+Vilares+-+Copacabana!3b1!3m1!1s0x0:0xc1d417767b3616ca!6m1!1e1
Quelle https://www.google.com/maps/place/São+João+Batista/@-22.959318,-43.18849,2a,90y,90t/data=!3m5!1e2!3m3!1s2936312!2e1!3e10!4m7!1m4!3m3!1s0x9bd55c5dcf7f7d:0xbfe99db131288a5a!2sRua+Décio+Vilares+-+Copacabana!3b1!3m1!1s0x0:0xc1d417767b3616ca!6m1!1e1

Der Plan

Am 01. Juni 2014 fand nun nach langer Terminfindungszeit endlich meine erste Bergbesteigung hier in Rio de Janeiro statt. Gut, den Morro de Lemé hatte ich schon erledigt, aber dies war noch einmal etwas völlig anderes. Ich hatte mir irgendwann in den letzten Monaten unter Einfluss von der einen oder anderen Caipirinha vorgenommen, alle Morros (=Berge) der Süd-Zone zu besteigen und die Erfahrungen in Form eines Wanderführers zusammenzufassen. Ein Mann ein Wort oder so ähnlich und nachdem einige Leute im Freundeskreis spontan erklärt hatten, da mit zu machen, gab es auch kein Zurück mehr. Jetzt nach der ersten erfolgreichen Tour kann ich sagen: eine unglaublich geniale (Schnaps)Idee, da man völlig neue Gegenden und vor allem auch unglaublich viele nette Leute kennen lernt. Es ist Sonntag 09:00 Uhr als ich am Treffpunkt an der Metro-Station Sequeira Campos ankomme. Roland, ein Kollege aus dem Konsulat und Robert von der deutschen Schule begleiten mich bei dem Ausflug. Moment, am Ende des Tages stellt sich heraus, dass wir eigentlich eher Roland begleiten, denn ohne seinen unerschütterlichen Mut, wildfremde Menschen in ein Gespräch zu verwickeln, wären wir wohl an der ersten Treppe direkt umgekehrt. Aber dazu später mehr. Mit eigens dafür angeschafftem nagelneuen GPS-Tracker, Wasserflasche und einigen Bananen im Gepäck geht es für mich ein wenig früher an der Metro-Station General Osório mit der U-Bahn los. Nachdem wir uns dann alle relativ pünktlich (typisch deutsch) gefunden hatten geht es auch direkt los. Der Plan ist, den Morro dos Cabritos (Ziegenberg) zu besteigen. Dies ist ein Hügel, welcher neben der Lagoa steil aufsteigt und unserer Meinung nach irgendwo von hinten - also hier in der Nähe doch besteigbar sein müsste. Am Ende der Rua Henrique Oswald, Ecke Rua Santa Clara gibt es eine lange Treppe hoch zur Comunidade (=Favela) „Ladeira dos Tabajaras e do Morro dos Cabritos“. Roland befragt nun zunächst einen Taxifahrer an einem Taxistand, ob es denn oben in der Comunidade einen Weg auf den Berg gäbe. Ein Fehler, denn diese geben etwas entsetzt über unser Vorhaben zu bedenken, dass man ohne dass man irgendjemanden dort oben kennt auf keinen Fall dort hoch gehen sollte. Das ist doch viel zu unsicher! Der typische „Ihr-seid-Gringos-Blick“ trifft uns alle vom zweiten Taxifahrer neben ihm. Ich sehe erste Zweifel in Roberts Gesicht und so machen wir uns dennoch frohen Mutes auf zum Fuß der Treppe.

 

Einstiegspunkt Treppe

Auf einmal sagt Robert relativ spontan, er wird nicht mitkommen. Etwas entgeistert sehen Roland und ich uns an. Eigentlich schade, dann werden wir wohl etwas anderes heute erkunden, beruhigen Roland und ich. Nein, das wäre auch doof, wir könnten doch auch ohne ihn gehen. Robert hatte offensichtlich die Äußerung des Taxifahrers weitergehend beunruhigt. Die Rettung ist das folgende Gespräch, welches Robert mit seiner Frau führt. Das Gespräch ist beendet, Robert überlegt kurz und gibt das typisch brasilianische Zeichen: es geht doch los (Daumen hoch). Was genau besprochen wurde haben wir nicht mitbekommen, aber es hat unsere Expedition gerettet. Erleichterung macht sich bei Roland und mir breit und Roland befragt nun mit neuem Elan gleich eine ältere Dame auf der Treppe nach einem Wanderweg oben rauf auf den Berg. Sie sagt, es gäbe einen Weg direkt oben und weiter geht es unzählige Treppenstufen hinauf ins Ungewisse. Ich selbst hatte schon viel gelesen und gehört über Comunidades, war bisher aber nur in der weitgehend touristisch erschlossenen Vorzeigefavela „Santa Marta“ gewesen. Aber hierher verirren sich sicher seltener Gringos und daher würden wir wohl in jedem Fall auffallen. Ob das nun gut oder schlecht ist, bleibt abzuwarten. Fast oben angekommen, fragt Roland noch ein junges Pärchen nach dem Weg und diese erklären uns, man müsse erst rechts (wobei die Hand ansatzlos nach links geht) und dann wieder nach rechts und noch eine Treppe hoch und dann ist man da. Gut soweit also alles (un)klar, wir erreichen am Ende der Treppe eine kleinere Gasse ohne Straßenverkehr. Wir gehen nun wie gezeigt nach links und dann wie besprochen wieder nach rechts.

 

In der Comunidade

Es ist unglaublich ruhig auf einmal, kein Mensch weit und breit und auch der Straßenlärm der sonst ziemlich lauten Stadt ist kaum mehr wahrnehmbar. Nur noch wir und das Ziel den Weg zu finden. Also geht es immer weiter, wieder eine Treppe hoch. Wir erreichen eine kleine Straße. Hier ist etwas mehr los, ein kleiner Kiosk hat geöffnet und es sitzen zwei Männer davor und trinken ein Glas Bier. Roland spricht einen der Beiden direkt an und erfährt bereitwillig, dass es eine weitere Treppe in der Nähe gibt, wo es zu unserem Weg ginge. Wir laufen also in die Richtung und sehen wie beschrieben an der Seite ein Tor, dahinter eine Treppe. Nein das kann es ja nicht sein, das sieht aus wie Privatgelände und wir gehen daher zunächst weiter. Ein Müllwagen bahnt sich mühsam den Weg durch die enge Straße, parkende Autos behindern das problemlose Durchkommen. Eine Gruppe diskutierender Männer steht am Rand und Roland spricht mutig einen davon an. Dieser verweist uns erneut direkt auf das Tor und die Treppe. Also doch, das ist also wohl unser Ziel. Es kommen weitere Männer dazu, es riecht auf einmal stark nach Marihuana. Zum Glück geht es aber direkt weiter und wir lassen die Gruppe hinter uns zurück und passieren das Tor. Die Gasse ist ziemlich eng und mit jeder Treppenstufe wird der Aufstieg beschwerlicher. Es ist erstaunlich wie sauber es hier oben ist und wie liebevoll die Bewohner teilweise ihre Häuser gestaltet haben. Uns kommt es so vor, als ob wir aus dem Häusermeer in der Stadt in eine kleine Oase geflüchtet sind. Hier und da blitzt das Meer im Hintergrund zwischen den Häusern hervor und wir können erahnen, welch einmaligen Ausblick wohl viele Terrassen hier oben bieten müssen. Dass wir heute noch selbst auf einer solchen Terrasse stehen werden erahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auf einmal ist die Treppe zu Ende und kein Weg war erkennbar. Diverse Anwohner, die zwischendurch befragt werden, können keine neuen Angaben beisteuern. Leider sind Brasilianer so nett, dass sie sich nie wagen würden zu sagen, dass sie keine Ahnung haben, ob es oben einen Wanderweg gibt oder auch nicht. Man bekommt einfach gesagt, es müsse wohl einen geben, wir sollen einfach mal schauen. Super, also wieder Abstieg. Wir stehen nun wieder an der Treppe Richtung Copacabana und beratschlagen wie es weiter geht. Abstieg oder der Straße folgen, welche Richtung Botafogo geht. Wir entscheiden uns für die Variante Straße und Roland befragt am nächsten Kiosk weitere Anwohner nach einem Weg zum Gipfel. Ein Anwohner zeigt uns dann eine weitere kleine versteckte Treppe, die nach oben führt. Am Ende gibt es dann wohl einen Weg. Aber es ist ziemlich gefährlich und ohne einen Guide sollten wir uns dort nicht hochwagen. Wir halten uns daran und laufen die Straße weiter. Eine riesige neu erbaute Kirche taucht vor uns auf. Ich habe den Eindruck, wir laufen durch ein kleines Dorf auf dem Lande und befinden uns gar nicht mehr in Rio de Janeiro. Plötzlich scheint Roland sich sicher hier schon einmal gewesen zu sein und tatsächlich erreichen wir wie von ihm vorausgesagt eine Sambaschule. Wir begrüßen freundlich die Leute am Eingang und sagen wir wollen nur ein paar Fotos machen. Kein Problem, kommt rein und macht was ihr machen wollt. Der Blick der sich uns nun bietet ist wunderschön, vor uns breitet sich in der Tiefe der riesige Friedhof von Botafogo aus. Im Hintergrund dann der gesamte restliche Stadtteil und das Meer. Oder besser und genauer gesagt ist es ja die Guanabara-Bucht mit der Brücke nach Niteroí. Unglaublich. Ein junges Mädchen taucht auf und Roland ist sich sicher, dass diese schon am Anfang unseres Weges in der Nähe war. Wir werden also beobachtet, sagt er. Aber wir sollen uns keine Sorgen machen, das ist normal und vermutlich auch gut so. Wir verlassen die Sambaschule und laufen weiter bergauf vorbei an Häusern und freundlich grüßenden Bewohnern. Es tauchen nun am Rand der Straße augenscheinlich im Bau befindliche Häuser auf und nett begrüßen wir auch hier die Bewohner und fragen einen Mann mittleren Alters, ob es einen Weg auf den Berg am Ende der Straße gäbe (Morro São João).

 

Die Terrasse

Plötzlich sind wir dann im Gespräch mit Valter. Valter ist der Besitzer eines der Häuser hier und er kennt den Weg zum Morro dos Cabritos, den wir ursprünglich suchten. Er bietet sich direkt als Guide für uns an, wir erfahren ausführlich, dass es ein relativ anspruchsvoller Aufstieg ist und wir behalten das für das nächste Mal im Hinterkopf. Den Weg zum Morro São João kennt er auch gut, der ginge direkt am Ende der Straße los. Super. Ich sehe mich ein wenig um und versuche etwas Schatten unter einem Baum zu ergattern, während Roland weiter mit Walter alles Mögliche auswertet. Ein weiterer Mann mit Motorrad hat sich dazu gesellt und zeigt seine Webseite auf seinem Smartphone, um seine neue Pousada anzupreisen. Plötzlich gibt Roland ein Zeichen, im Verlaufe des Gespräches kamen die beiden wohl auch auf sein Haus und auf den tollen Blick vom Dach des selbigen zu sprechen. Spontan lädt er uns ein, auf die Terrasse seines Hauses hinaufzusteigen. Vorbei an einer Frau, die uns freundlich begrüßt, steigen wir dann die zwei Etagen bis auf das Dach hinauf. Es ist ein einmaliger Ausblick über die Copacabana und Botafogo bis hin zum Zuckerhut und auf der anderen Seite bis hin zum Corcovado. Wahnsinn, wer hätte vor 2 Stunden gedacht, dass wir das erleben!

Wieder auf der Straße lassen wir uns noch die Kontaktdaten von ihm bringen und kommen dabei mit Donna Maria ins Gespräch. Ich hatte sie zunächst gar nicht wahrgenommen. Sie sitzt in einem Art Holzverschlag und hatte sich nun bemerkbar gemacht. Wir fragen, ob sie schon immer hier wohnt und sie erzählt uns, dass sie seit 84 Jahren hier lebt. 84 Jahre, wir schauen sie an, schauen uns an und sind erstaunt. Die Frau sieht sehr gepflegt aus, hat auffällig gelb lackierte Fingernägel und sieht aus wie höchstens 65. Sie sei ihr Leben lang jeden Tag den Berg runter und wieder rauf, das hat sie so jung und fit gehalten, erzählt sie uns. Ihr Vater hätte früher Bohnen, Getreide und alles andere auf dem Berg angebaut. Ihre Urenkelin ist bereits 20 Jahre alt. Es fällt uns schwer, uns loszureißen aus dem Gespräch, doch wir haben ja noch etwas vor.

Der Aufstieg

Am Ende der Straße, hinter dem letzten Haus startet dann tatsächlich der besagte Pfad zum Gipfel. Wir tauchen ein in einen Wald, der Wind weht angenehm und wir steigen nun relativ zügig bergauf. Auf einmal scheint der Weg zu Ende, doch außer Wald und hohem Gras ist hier relativ wenig Spektakuläres zu sehen. Etwas enttäuscht legen wir eine kleine Pause ein. Roland erinnert sich, dass Walter sagte, man solle sich dann links halten weiter oben. Er läuft etwas im Gelände herum und tatsächlich, er findet einen Pfad der uns weiter führt. Der Wald wird nun dichter und feuchter und insgesamt wird das Gelände unwegsamer. Auf einmal öffnet sich eine kleine Lichtung am Rand und da ist er: ein Blick über Botafogo und die Bucht von Flamengo, bis hin zur Brücke nach Niteroí. Ganz hinten am Horizont erkennt man sogar noch die Gebirgskette von Petrópolis, heute passt irgendwie alles. Wir gehen weiter und erreichen am Ende des Berges einen Punkt, von dem man einen ungewöhnlichen Blick auf den Zuckerhut und den vorgelagerten Berg mit der Zwischenstation der Seilbahn hat. Ich kenne noch keine Fotos aus den unzähligen Büchern über Rio, welche aus dieser Position aufgenommen wurden. Überhaupt ist uns bis jetzt noch keine Menschenseele über den Weg gelaufen. Es ist so ruhig und idyllisch, man kann kaum glauben, mitten in einer 6 Millionen-Metropole herumzuwandern. Nun geht es bergab und der Tower vom Einkaufszentrum Rio Sul blitzt immer wieder durch die Baumkronen.

Der Abstieg

Und dann ist er doch da. Ein Mensch kommt uns entgegen. Im Nachhinein ein Glücksfall, denn er gibt uns den entscheidenden Hinweis auf den Weg zurück in Richtung Botafogo. Er hat einen Hund auf dem Arm und ich frage mich noch immer, wo er herkam, wo er hin wollte und vor allem was er mit dem Hund machte… Das ziemlich merkwürdige Bellen ließ uns zu dem Schluss kommen, dass es den Hund bald nicht mehr geben würde. Aber sei es drum, nachdem wir uns fast verirrt haben, finden wir den Pfad entlang am Felsen zurück in Richtung Ausgangspunkt. Vorbei an riesigem Bambus und kleinen Höhlen ist sie dann da auf einmal: Eine Mauer mit einem Eingang. Eine endlos erscheinende Treppe führt vorbei an 14(!) Wohnblocks und am Ende folgt dann ein „normales“ Haus und man steht auf einer Straße mitten im Bezirk Botafogo. Ungläubig stehen wir vor dem Haus und schauen auf den unscheinbaren Eingang. Wer würde hier vermuten, dass eine Treppe hochführt mitten in eine grüne Welt. Total überwältigt von all den Ereignissen entschließen wir uns noch ein Bier zu trinken und zwar direkt an der Metro-Station Botafgo. Ein Geheimtipp von Robert, es gibt dort in einer Bar frisch gezapftes Bier, welches deutschem Bier im Geschmack sehr nahe kommt. Und in der Tat war dies der krönende Abschluss einer wunderschönen Tour mitten durch eine der grünen Oasen von Rio. Mein GPS-Tracker hat alles aufgezeichnet und zeigt stolze 10 km am Ende an. Das Höhenprofil besagt, dass wir bis auf 249 m gestiegen sind. Recherchen im Internet ergeben eine Höhe von 245m für den Berg, damit hat das Gerät seine Tauglichkeit für zukünftige Touren bewiesen. Genüßlich schlürfen wir unser Bier zu Ende und hier endet dann auch dieser Ausflug. Ich freue mich auf die nächste Tour!

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Timmy Ek (Mittwoch, 01 Februar 2017 16:32)


    My family always say that I am wasting my time here at net, however I know I am getting knowledge all the time by reading thes fastidious articles or reviews.

  • #2

    Brianna Gibby (Sonntag, 05 Februar 2017 20:19)


    Hello everyone, it's my first pay a visit at this web site, and piece of writing is actually fruitful in favor of me, keep up posting these articles or reviews.